UNBOX YOUR MIND.

Es gibt kein größeres Hemmnis im Leben als eingefahrene Denkweisen! In meinem Blog möchte ich Ihnen zu Themen, die uns alle beschäftigen, neue Perspektiven eröffnen.

Gefühle sind doof .

Soll ich meinen Job wechseln? Trenne ich mich von meiner Partnerin? Sage ich meinem Kollegen die Meinung? Bei größeren Entscheidungen entsteht in unserem Kopf ein Wirrwarr aus Für und Wider, wir kauen die Argumente immer wieder durch, grübeln, zweifeln. Plötzlich taucht sie auf, die scheinbar so einfache wie überzeugende Lösung. Ein guter Freund, die lebenskluge Großmutter oder das neueste Lebenshilfebuch geben uns den entscheidenden Tipp: „Hör auf dein Gefühl!“

Aber von welchem Gefühl ist hier die Rede? Wenn der gutgemeinte Rat Ihnen wirklich helfen soll, dann ist genau genommen von gar keinem Gefühl die Rede. Gefühle sind nämlich insofern „doof“, als sie sich mitunter sehr wenig um die Realität scheren über die sie uns angeblich Auskunft geben. Doch das war nicht immer so. Wenn wir einen kleinen Ausflug in die Evolutionsgeschichte des Menschen machen, sehen wir, dass es Gefühle schon sehr viel länger gibt als die Sprache und damit auch länger als den mit Gedanken arbeitenden Verstand.

Ursprünglich bestand die Funktion der Gefühle darin, dem Menschen bestimmte Umweltbedingungen zu signalisieren um angemessen darauf reagieren zu können. So signalisierte Angst eine Gefahr und verursachte einen Fluchtimpuls, Ärger einen Angriff und löste einen Verteidigungsimpuls aus oder Trauer einen Verlust und motivierte den Menschen zum Rückzug und  Suchen von Trost. Alles sinnvolle Reaktionen auf die entsprechenden Situationen, die das Überleben sichern bzw. das soziale Gefüge festigen.

Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Sprache und damit die Fähigkeit Situationen zu bewerten und zu antizipieren. Nun konnten verschiedene Szenarien geistig durchgespielt werden und die beste Handlungsalternative ausgewählt werden. Das ist durchaus hilfreich fürs Überleben. Dummerweise konnten die guten alten Gefühle mit dieser neuen Entwicklung nicht so gut mithalten. Die Vorstellungskraft des Menschen funktionierte nämlich so gut, dass die „doofen“ alten Gefühle den Unterschied zwischen Realität und Vorstellung nicht bemerkten. Nun reichte also eine vorgestellte Bedrohung aus um sich zu ängstigen und schon die mentale Interpretation einer Situation als Angriff machte den Menschen ärgerlich. Und als ob das noch nicht schlimm genug wäre, reichte es sogar schon aus, wenn uns jemand erzählte, dass etwas bedrohlich sei oder einen Angriff darstelle, sofern dieser jemand denn überzeugend war – und Eltern sind für Kinder sehr überzeugend.

Und so schlagen sich die meisten von uns mit Schuldgefühlen herum, weil jemand gesagt hat, dass wir etwas falsch gemacht haben oder nicht tun dürfen, haben Ängste vor den harmlosesten Dingen (Vorträge halten, Nähe, „was andere Leute denken“) weil wir gelernt haben, dass uns Gott-weiß-was droht oder fühlen uns minderwertig, weil uns jemand vermittelt hat, dass wir zu nichts taugen.

Argumentationen  wie „weil ich Angst habe, ist es gefährlich,“, „weil ich Schuldgefühle habe, habe ich etwas falsch gemacht“ oder „weil ich mich minderwertig fühle, bin ich minderwertig“ sind daher sehr mit Vorsicht zu genießen. Natürlich kann auch heute noch Angst eine Bedrohung anzeigen, Ärger einen Angriff bzw. eine Grenzüberschreitung oder ein Schuldgefühl ein  Fehlverhalten – es muss aber nicht. Vielmehr macht es Sinn, das jeweilige Gefühl daraufhin zu untersuchen, ob es wirklich im Zusammenhang mit einer entsprechenden Situation in der Realität steht. Fragen Sie im Zweifelsfall lieber nochmals Außenstehende, ob Ihrer Angst wirklich eine objektive Bedrohung, Ihrem Ärger tatsächlich ein willentlicher Angriff oder Ihrem Schuldgefühl ein bewusstes Fehlverhalten zugrunde liegt.

Wenn dies nicht der Fall sein sollte, dann sollten Sie auch nicht auf Ihr Gefühl hören! Nach meiner Erfahrung in der psychotherapeutischen Praxis ist vor allem bei Angst und Schuldgefühlen immer Skepsis angebracht, denn in der Regel sind dies ganz schlechte Berater. Meistens ist es nicht die sinnvollste Handlung zu flüchten oder eine Situation zu vermeiden, wenn wir Angst verspüren, denn in unserem Alltag gibt es kaum tatsächliche Bedrohungen für Leib und Leben – denn Vorträge, Nähe oder „was andere Leute denken“ tun uns nichts, egal wie sehr Sie das glauben bzw. fühlen. Und auch Schuldgefühle zeigen viel häufiger an, dass Sie gegen eine alte, mehr oder weniger unsinnige Regel Ihrer Eltern verstoßen haben, als dass Sie sich tatsächlich etwas zu Schulden hätten kommen lassen.

Liegen unsere wohlmeinenden Ratgeber mit ihrem „Hör auf dein Gefühl“ also völlig falsch? Nicht zwangsläufig. Die Überprüfung der Passung zwischen dem Gefühl und der Realität kann auch ergeben, dass das Gefühl mir den richtigen Impuls gibt. Zeigt mein Ärger mir an, dass jemand mich tatsächlich körperlich oder verbal angegriffen hat, dann ist eine Verteidigung meiner Grenzen auch sinnvoll. Und wird meine Angst von einem Mann mit einem Messer in einer dunklen Gasse ausgelöst, ist Wegrennen sicher die beste Idee.

Im Grunde genommen ist mit dem Rat „hör auf dein Gefühl“ aber eher unsere Intuition gemeint. Die Intuition lässt sich jedoch besser als eine Ahnung beschreiben, die Sie vor allem daran erkennen können, dass sie gerade kein Gefühl (Angst, Schuld, Scham, Ärger, etc.) ist und außerdem – anders als Gefühle – rationalen Argumenten niemals widerspricht, sondern vielmehr diese umfasst und darüber hinaus geht, ohne sich in Worte fassen zu lassen. Und auf diese Intuition sollten Sie in der Regel hören.

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